Arbeit wird in Deutschland hoch geschätzt, doch es gibt auch immer wieder Kritik am deutschen Arbeitsmodell. Nun sollen Bürger in Südwesten sogar noch mehr arbeiten, zumindest wenn es nach der neuesten Forderung geht.
Die Bürger in Deutschland sollen mehr arbeiten. Diesen Vorschlag hörte man zuletzt häufig, doch verständlicherweise sind nicht alle dafür. Teilweise gibt es heftigen Widerstand.
Mehr Arbeit: Ein Vorstoß, der überrascht – und aneckt
Kurz vor dem Ende seiner politischen Karriere meldet sich Winfried Kretschmann mit einer provokanten Forderung zu Wort. Der baden-württembergische Ministerpräsident ruft dazu auf, mehr zu arbeiten – gerade jetzt, wo wirtschaftliche Unsicherheit und Fachkräftemangel den Ton angeben. Statt über Arbeitszeitverkürzungen zu diskutieren, brauche es laut dem Grünen-Politiker das Gegenteil: längere Wochenstunden für jene, die dazu gesundheitlich in der Lage sind. Kretschmann selbst lebt vor, was er fordert. Nach eigenen Angaben arbeitet der 76-Jährige täglich rund zwölf Stunden – und erwartet ähnlich viel Einsatz von anderen.
Besonders im Bildungswesen schlägt er konkrete Maßnahmen vor: Teilzeit-Lehrkräfte könnten laut seiner Idee eine Stunde pro Woche zusätzlich unterrichten. Hochgerechnet entspräche das etwa 1.000 zusätzlichen Lehrkräften – eine Rechnung, die bei Lehrerverbänden jedoch auf wenig Gegenliebe stößt. Die Wortmeldung reiht sich ein in Kretschmanns jüngste Forderungen nach mehr Wehrhaftigkeit, wirtschaftlicher Stärke und gesellschaftlichem Pflichtbewusstsein. Seine Botschaft: Krisen lassen sich nicht mit weniger, sondern nur mit mehr Anstrengung überwinden. Doch während sich einige Arbeitgebervertreter mit dieser Linie anfreunden können, formiert sich an anderer Stelle Widerstand.
Bürger sollen mehr arbeiten – doch nicht alle können
Die Gewerkschaften schlagen nun Alarm: Nicht zu wenig Arbeit sei das Problem, sondern ein ungerechter Zugang zur Erwerbsarbeit und überlastete Strukturen. Besonders Frauen, so betont der Deutsche Gewerkschaftsbund, würden oft gern mehr arbeiten – scheiterten jedoch an fehlenden Kita-Plätzen und starren Teilzeitmodellen. Der Ruf nach Mehrarbeit gehe an der Lebensrealität vieler Menschen vorbei.
Tatsächlich liegt Deutschland laut OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) mit durchschnittlich 1.349 Arbeitsstunden pro Jahr weit unter dem internationalen Durchschnitt. Doch Arbeitszeit allein entscheidet nicht über Wohlstand: Produktivität, gute Rahmenbedingungen und ein moderner Arbeitsmarkt spielen mindestens eine ebenso wichtige Rolle. Studien zeigen, dass Länder mit kürzerer Arbeitszeit oft effizienter arbeiten und damit wirtschaftlich wettbewerbsfähiger sind. Die Debatte um Kretschmanns Vorschlag zeigt: Mehr Arbeitsstunden könnten kurzfristig Lücken schließen – langfristig aber braucht es andere Lösungen.