Familie hält es nicht mehr aus: Sie wohnen in Karlsruhes schlimmsten Stelle

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Symbolbild

Karlsruhe (dpa) – «Die ICEs sind das Schlimmste», sagt Margit Rödder. Wenn die schnellen Züge der Bahn vor ihrem Haus vorbeirauschen, nervten vor allem die Windgeräusche. Die Zimmer der Töchter haben Fenster zu den Gleisen raus. «Die machen im Sommer kein Fenster auf.»

Als Rödder und ihr Mann vor zehn Jahren ein Haus in Graben-Neudorf kauften, zogen sie damit auch an die Bahnstrecke Karlsruhe.

Das war klar. «Die Bahn war schon da, wir leben mit der Bahn», sagt Rödder. Doch nun soll die Bahnstrecke vierspurig werden. Um mehr Güter auf Schienen zwischen den Regionen und den Hochseehäfen Rotterdam und Genua zu transportieren, plant die Deutsche Bahn die Erweiterung. «Das Schienennetz zwischen Mannheim Karlsruhe zählt zu den wichtigsten Bahnverbindungen Europas», heißt es dort.

Die Bürgerinitiative Karlsruhe Molzau, die Rödder mitgegründet hat, erwartet eine Verdreifachung der Güterzüge auf 660 pro Tag – das wäre rechnerisch etwa alle zwei Minuten einer. Neben mehr Feinstaub und Enteignungen entlang der Trasse fürchten die Menschen auch mehr Lärm.

Lärm kann nach Angaben des Umweltbundesamts (UBA) zu schweren gesundheitlichen Schäden führen: Schwerhörigkeit, Tinnitus, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien mögliche Folgen, Blutfett- und Blutzucker-Werte könnten beeinflusst werden. Der durch Lärm ausgelöste Stress wirke sich auch auf das Nervensystem aus.

Laut UBA ist Schienenverkehr eine «bedeutende Lärmquelle» in Deutschland. «Über ein Drittel der deutschen Bevölkerung fühlt sich durch Schienenverkehrslärm gestört oder belästigt.» Rund eine Million Menschen ist demnach in deutschen Ballungsräumen entlang von Gleisen und an Bahnlinien mit einem Verkehrsaufkommen von mindestens 30 000 Zügen pro Jahr ganztags Pegeln von mehr als 65 Dezibel ausgesetzt. Nachts seien über zwei Millionen Menschen mit Pegeln von mehr als 55 Dezibel belastet. So viel geht etwa von einem Kühlschrank aus.

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Wie laut es entlang von Bahnstrecken ist, kann man auf Lärmkarten des Eisenbahn-Bundesamts (EBA) sehen. Gerade arbeiten die Firmen Disy, Afry und Soundplan an der aktuellen Übersicht, die bis Sommer 2022 veröffentlicht sein soll. Dafür stehen die Mitarbeiter aber nicht mit Messgeräten an den Gleisen. «Eine punktuelle Messung wäre nur eine Momentaufnahme und mit Blick auf die Lärmbelastung auch gar nicht
zielführend», erklärt eine Sprecherin des Karlsruher Softwareunternehmens Disy Informationssyteme GmbH, das sich auf Datenmanagement und Analysen mit Geobezug spezialisiert hat.

Derzeit arbeiten die Datenanalytiker an einem Prototyp für ein Gebiet aus dem Ballungsraum Köln. Wenn das EBA grünes Licht gibt, können die Algorithmen auf das bundesweite Streckennetz angewandt werden. Zum ersten Mal werden dabei auch alle Strecken der Eisenbahnen des Bundes jenseits von Ballungsräumen und neben den Hauptrouten kartiert.

«Natürlich soll mehr Verkehr auf die Schiene», sagt Rödder von der Bürgerinitiative Karlsruhe Molzau. Aber ob die zwingend durch die Gemeinden führen müssen, stellt sie infrage. «Man kann auch über eine Tunnellösung nachdenken.» Doch auch die müsste irgendwo herführen und erfordert noch umfassendere Baumaßnahmen – mit entsprechendem Krach.