Karlsruhe entscheidet: Wird Hartz-IV-Empfängern der Geldhahn zugedreht?

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Jobcenter drehen Hartz-IV-Beziehern den Geldhahn zu, wenn sie nicht mitziehen. Das verstößt gegen die Menschenwürde, sagt jetzt das Bundesverfassungsgericht. Die Richter schreiten direkt ein – und treten zugleich eine Debatte über Reformen los.

Karlsruhe (dpa) – Hartz-IV-Empfänger müssen ab sofort keine drastische Kürzung oder Streichung ihrer Leistungen mehr befürchten.

Monatelange Minderungen um 60 Prozent oder mehr sind mit dem Grundgesetz unvereinbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden.

Nach dem am Dienstag verkündeten Urteil dürfen die Jobcenter die monatlichen Leistungen zwar weiter um 30 Prozent kürzen, wenn Arbeitslose ihren Pflichten nicht nachkommen. Auch diese Sanktionen müssen aber abgemildert werden. Der Mensch dürfe nicht auf
das schiere physische Überleben reduziert werden. Umgehend entbrannte eine Diskussion über eine Reform der Grundsicherung. (Az. 1 BvL 7/16)

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte noch für Dienstag Gespräche mit der Bundesagentur für Arbeit und den Ländern an. Einige Änderungen seien unmittelbar notwendig, sagte er in Karlsruhe. Während Heil und die SPD das Urteil zum Anlass für eine grundlegende Hartz-Reform nehmen wollen, mahnte die Union zur Zurückhaltung.

Nach dem Prinzip «Fördern und Fordern» sanktionieren die Jobcenter seit 2005 unkooperative Hartz-IV-Empfänger, indem sie ihnen den Geldhahn zudrehen. Wer ein Jobangebot ausschlägt oder eine Fördermaßnahme ablehnt, läuft Gefahr, dass ihm 30 Prozent des Regelsatzes gestrichen werden.

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Wer innerhalb eines Jahres mehrfach negativ auffällt, verliert bisher 60 Prozent oder sogar das gesamte Arbeitslosengeld II, auch die Kosten für Unterkunft und Heizung. Einmal verhängt, gilt eine Sanktion immer drei Monate.

Das werde den strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit nicht gerecht, sagte Vizegerichtspräsident Stephan Harbarth bei der Urteilsverkündung. Der Gesetzgeber dürfe zwar «von Menschen verlangen, dass sie die Brücke in die Erwerbsarbeit beschreiten», und
zur Durchsetzung grundsätzlich auch Leistungsminderungen vorsehen.

«Wenn er das im Bereich des grundrechtlich geschützten Existenzminimums sanktioniert, darf er aber nicht zu weit gehen.» Die Sanktionen seien für die Betroffenen eine außerordentliche Belastung.

Die Vorschriften müssen nun überarbeitet werden. Für die Übergangsphase regelt das Verfassungsgericht die Praxis selbst. Minderungen um 60 oder 100 Prozent dürfen demnach ab sofort nicht mehr verhängt werden. 30-Prozent-Sanktionen bleiben zwar möglich. Die
Jobcenter können in Zukunft aber im Einzelfall darauf verzichten. Das ist für die Richter zentral, damit besondere Härten berücksichtigt werden können. Außerdem darf die Kürzung nicht volle drei Monate aufrechterhalten werden, wenn der Empfänger sich einsichtig zeigt.