Parkplätze zu Radwegen: Radfahrer erobern die Macht in Karlsruhe

Symbolbild

Karlsruhe (dpa/lsw) – In der Karlsruher Sophienstraße hat die Zukunft des Radverkehrs schon begonnen.

Hier dürfen Radfahrer mitten auf der Straße fahren, mögen die dahinter schleichenden Autofahrer noch so toben.

Die Straßenverkehrsordnung erlaubt in Fahrradstraßen höchstens Tempo 30 – falls dort überhaupt Autos erlaubt sind.

Immer mehr Städte und Gemeinden wollen mit solchen Straßen und eigenen Fahrbahnen das Radfahren attraktiver machen. 80 Prozent des Radwegenetzes liegen in der Hand der Kommunen.

Doch sie haben ein Problem: Jeder neue Radweg braucht Platz. «Da ist Kreativität gefragt und natürlich auch die Bereitschaft zur Veränderung», so der Städtetag Baden-Württemberg. Viele zeigen, was geht: Da werden Parkplätze zu Radwegen, zweispurige Straßen einspurig, spontane Pop-up-Radwege ausprobiert und Knöllchen für Falschparker verteilt. Oder öffentliches Parken wird so verteuert, dass sich der Umstieg auf Rad, Bus oder Bahn schon deshalb lohnt. Wie in Karlsruhe, das eine autofreie Innenstadt anpeilt.

Auch Leihräder, E-Bikes oder Radparkhäuser sollen zum Umsatteln bewegen. Rund 80 Kommunen wollen in einer Arbeitsgemeinschaft den Fuß- und Radverkehr besonders fördern. An der Spitze liegen nach einem Fahrradklima-Test des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Karlsruhe, Freiburg und Konstanz. Allerdings erreichten bei
dem bundesweiten Test alle Städte nur weniger als «befriedigend». Vom Land als fahrradfreundlich ausgezeichnet wurden neben Freiburg und Karlsruhe auch Offenburg, Heidelberg, Kirchheim u.T., Tübingen, Lörrach, Mannheim, Heilbronn und der Kreis Göppingen.

Schlusslichter sind laut ADFC Pforzheim und Reutlingen: «Hier kommt der Stadtumbau zugunsten eines nachhaltigen Verkehrs nicht voran», sagt ADFC-Landeschefin Gudrun Zühlke. Enge und zugeparkte Radwege gibt es unter anderem in der Landeshauptstadt Stuttgart, die im ADAC-Fahrradwegetest die Note «ausreichend» bekam.

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Das Verkehrsministerium habe viele Weichen gestellt, lobt Zühlke. «Aber es bleibt noch viel zu tun.» Der Radwegeausbau gehe zu langsam voran. «Radfahrende sind immer wieder mit einem lückenhaften Netz konfrontiert.» Bei den Radwegen entlang von Bundes- und Landesstraßen liege Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich weit hinten. Notwendig seien mehr Personal, schlanke Planungen und ein Rad- oder Mobilitätsgesetz, das Ziele und Maßnahmen für den Radverkehr verbindlich festsetzt.

Der Studie Mobilität in Deutschland (MID) zufolge stieg der Verkehrsanteil des Rads im Südwesten von acht Prozent im Jahr 2008 auf nur zehn Prozent im Jahr 2017. Doch in der Corona-Pandemie entdeckten viele das umweltfreundliche und günstige Verkehrsmittel
für sich: Im Mai/Juni 2020 wuchs die mit dem Fahrrad zurückgelegte Kilometerzahl in Baden-Württemberg um 33 Prozent gegenüber der MID-Studie von 2017.

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) will seit Jahren, dass mehr Menschen auf das Rad umsteigen. Sein Ziel ist, den Radverkehrsanteil im Land auf 20 Prozent zu bringen. Dafür will man nun einen Gang höher schalten: Bis 2030 sollen mindestens 20 Radschnellwege und 100 000 neue Bike&Ride-Stellplätze realisiert werden. Mehr als 120 Millionen Euro hat das Ministerium in den vergangenen Jahren für den Radverkehr ausgegeben. Für Radwege an Bundesstraßen kamen vom Bund 33 Millionen Euro dazu. Der Förderrahmen für Bauvorhaben im Fuß- und Radverkehr der Kommunen wurde 2020 auf 58 Millionen Euro ausgeweitet – das bislang größte Programm dieser Art.