Alle gegen Mentrup: Karlsruhe wählt neuen Oberbürgermeister

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Karlsruhe (dpa/lsw) – Video statt Hausbesuch, Online-Diskussion statt Kräftemessen vor großem Publikum – Wahlkampf in Corona-Zeiten ist nicht einfach.

Zumal, wenn einen die Bürger nicht kennen und der amtierende Rathauschef fest im Sattel sitzt. Drei Männer und zwei Frauen bieten am Sonntag (6. Dezember) dennoch Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) die Stirn.

Auf Wahlplakaten lächeln die Bewerber um den OB-Sessel in Baden-Württembergs drittgrößter Stadt um die Wette. Auf Wochenmärkten verteilen sie mit Maske und gehörig Abstand Flyer, Luftballons, Flaschenöffner oder Kugelschreiber. Und im Internet legen sie sich mit Videos ins Zeug. Am Nikolaus-Tag haben 233 000 Wahlberechtigte das Wort.

Der SPD-Politiker Frank Mentrup (56) eroberte vor acht Jahren überraschend die langjährige CDU-Bastion – unterstützt nicht nur von seiner Partei, sondern auch von den Grünen, der Karlsruher Liste (KAL) sowie der Piratenpartei. «Zuhören, verbinden und gestalten» waren seine damaligen Schlagworte. «Das habe ich gehalten», sagt der frühere Staatssekretär im baden-württembergischen Kultusministerium, der zuvor Arzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie war.

Seine Gegner im Rheinbrücken- und KSC-Stadion-Streit oder die Leidtragenden der Theater-Affäre dürften dies anders sehen. Doch der legere OB – er fährt mit dem Rennrad ins Rathaus und hat ein großes Herz für grüne Themen – kommt gut an. So gut, dass die Grünen erneut die Kandidatur des vierfachen Vaters unterstützen.

Etwas formeller kommt Sven Weigt (49) daher, Bürgermeister von Karlsdorf-Neuthard (CDU) und der Herausforderer mit der größten Politik-Erfahrung. Weigt will mit Unterstützung der FDP Mentrup als Rathauschef beerben. Er verspricht eine überparteiliche Politik, solide Finanzen und einen Kassensturz. In der umstrittenen Verkehrspolitik präsentiert er sich als Pragmatiker, der den Ausgleich zwischen Auto, Rad und Fußgängern sucht. Der gelernte Verwaltungswirt wirbt mit dem Slogan «Neue Kraft für Karlsruhe». Die
nötige Puste hätte er: Der Vater dreier Kinder ist Triathlet.

Eine «Fairänderung» strebt Petra Lorenz (53) an, Stadträtin und Kandidatin der Freien Wähler/Für Karlsruhe. Die gebürtige Pforzheimerin und Mutter eines Sohnes führt in Karlsruhe ein Lederwarengeschäft. Sie will mit kaufmännischem Sachverstand Bauprojekte besser planen – und spielt auf die aus dem Ruder gelaufenen Kosten beim U-Bahn-Projekt der Innenstadt und beim Badischen Staatstheater an. Ihre Kompetenz für die Spitze der Residenz des Rechts – Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof und Bundesanwaltschaft haben in Karlsruhe ihren Sitz – unterstreicht sie mit ihrer Tätigkeit als Handelsrichterin am Landgericht Karlsruhe.

Für die AfD geht der Gemeinderat Paul Schmidt (54) ins Rennen, der einzig echte Karlsruher: Er ist hier geboren. Für den promovierten Physiker und Kernkraftbefürworter war der Atomausstieg nach dem Reaktorunglück in Fukushima ein Grund, in die Politik zu gehen. Der zweifache Vater war lange Leistungssportler im Rudersport. Er will den «Krieg gegen das Auto stoppen» und für mehr Sicherheit sorgen.

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Etwas Spaß bietet Vanessa Schulz: Die 39-Jährige will die Stadt in «Karlasruhe» umbenennen und den U-Strab-Tunnel für Gondeletta-Fahrten fluten. Doch die Kandidatin von «Die Partei» und Kauffrau für Büromanagement hat auch ernste Anliegen: Gleichberechtigung und gute Arbeitsbedingungen, etwa am Badischen Staatstheater. Während Mentrup zunächst am umstrittenen Generalintendanten Peter Spuhler festhielt,
forderte sie den Schulterschluss mit 300 Mitarbeitern, die ihren Chef weg haben wollten.

Der jüngste Bewerber, Marc Nehlig (26), will frischen Wind ins Rathaus bringen und das Vertrauen in die Politik stärken. Er will dafür sorgen, dass große Bauprojekte richtig kalkuliert und nicht gezielt kleingerechnet werden. Der parteilose Standesbeamte aus dem
Karlsruher Rathaus sagt über sich: «Ich bin ein ehrlicher Mensch.»

Dass es in der ehemaligen Residenz der badischen Markgrafen ähnlich spannend werden könnte wie in der Landeshauptstadt, erwartet Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider nicht. «Die Karlsruher OB-Wahl dürfte deutlich weniger Überraschungen
bereithalten, als die OB-Wahl in Stuttgart», meint der Professor der Uni Hohenheim. «Sechs statt 14 Kandidatinnen und Kandidaten. Dazu ein angesehener Amtsinhaber, der erneut antritt und die Unterstützung der SPD und der Grünen hat. Die Chancen sind also gut für Frank Mentrup.»

Dass der Amtsinhaber schon wegen Corona leichtes Spiel hat, glaubt Brettschneider nicht. Selbst wenn die «Neuen» wegen der Pandemie nicht auf Tuchfühlung mit den Bürgern gehen können, muss das nicht nachteilig sein. «Es gibt ja zahlreiche andere Wege, wie sich
Kandidatinnen und Kandidaten bekannt machen können.» So seien in Stuttgart soziale Medien wie Facebook, Instagram und YouTube deutlich wichtiger als bei vergangenen Wahlen gewesen.

In Stuttgart setzte sich bei der Oberbürgermeisterwahl am Sonntag Frank Nopper von der CDU durch. Ihm kam entgegen, dass es im linken Lager keine Einigkeit für einen Kandidaten gab. Amtsinhaber Fritz Kuhn von den Grünen war nicht wieder angetreten.

Wer auch immer das Rennen in der Fächerstadt mit 308 988 Einwohnern (Stand Ende Juli) macht – er oder sie muss sich mit acht Fraktionen in einem 48-köpfigen Gemeinderat verständigen, in dem die Grünen die größte Fraktion bilden. Ob Mentrup erneut den Durchmarsch macht, hängt aus Sicht von Brettschneider auch davon ab, wie gut er seine
Anhänger mobilisieren kann. Für den Fall, dass der Nikolaus-Tag mit einer Überraschung endet: Am 20. Dezember wäre dann Neuwahl.